Die Gesundheit von Beschäftigten ist unverzichtbare Grundlage

Interview mit Dipl.-Psych. Antje Juschkat, Staatliches Gewerbeaufsichtsamt Hannover.

Die Psychologin Antje Juschkat vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Hannover unterstützt in ihrer täglichen Arbeit Betriebe dabei, gesetzliche Verpflichtungen umzusetzen. Im Gespräch mit psyGA erklärt Juschkat, welchen Fokus die Betriebe dabei auf psychische Gesundheit legen und wo sich häufig Hürden befinden.

Staatliches Gewerbeaufsichtsamt: Das hört sich für viele erstmal streng an. Wie kann man sich Ihre Tätigkeit vorstellen?

AJ: Die niedersächsische Gewerbeaufsichtsverwaltung nimmt mit ihren 10 staatlichen Gewerbeaufsichtsämtern verschiedenste Aufgaben im Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz wahr. Im Kern handelt es sich um Aufsichtsbehörden, die ihre Tätigkeit aber nur durch die Nähe zu den Kunden, beziehungsweise Betrieben zielorientiert ausüben können. Unser Ziel ist es, Unternehmen bei der Umsetzung der gesetzlichen Verpflichtungen zu unterstützen. Viele betriebliche Akteure und vor allem die Verantwortlichen im Arbeits- und Gesundheitsschutz sind dankbar für eine solche Beratung und Unterstützung, insbesondere bei der Thematik ‚psychische Belastung am Arbeitsplatz‘ und den damit verbundenen Vorschriften.

Wo begegnet Ihnen das Thema psychische Gesundheit im Alltag?

AJ: Dass körperliche Gesundheit und psychisches Wohlbefinden, in Anbetracht ihrer vielfältigen Einflussfaktoren, zusammengehören, ist heute vielen Arbeitsschutzbeauftragten in den Betrieben bekannt. Mitarbeitende, die sich aufgrund von arbeitsbedingten Anforderungen psychisch nicht wohlfühlen, sind weder richtig gesund noch leistungsfähig. Unseren Erfahrungen nach setzen sich Betriebe oft dann mit dem Thema auseinander, wenn Beschäftigte arbeitsbedingte Unzufriedenheit äußern, länger ausfallen oder das Unternehmen verlassen. Im Sinne eines präventiven Ansatzes ist es umso bedeutsamer, dass sich Verantwortliche in den Betrieben im Vorfeld mit ihren spezifischen situativen, tätigkeitsbezogenen und organisatorischen Arbeitsanforderungen auseinandersetzen. Was, wenn nicht die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz, würde sich mehr anbieten, um betrieblichen Missständen auf die Spur zu kommen und sich systematisch mit arbeitsbedingten Anforderungen auseinanderzusetzen?

Ich würde mir wünschen, dass Führungskräfte in den Betrieben die Chance in der Auseinandersetzung mit dem Thema erkennen und diese mehr für sich nutzen würden. Denn sowohl die psychische als auch die körperliche Gesundheit von Beschäftigten sind die unverzichtbare Grundlage für die Herausforderungen unserer heutigen Arbeitswelt.

Wie erleben Sie den Umgang mit dem Thema psychische Gesundheit in den Betrieben vor Ort?

AJ: Viele Betriebe haben aus den genannten Gründen das Thema im Fokus und bieten Mitarbeitenden ein umfangreiches Angebot zur Förderung und zum Erhalt der Gesundheit an. Erfahrungsgemäß werden entsprechende verhaltensbezogene Angebote zur Gesundheitsförderung wie Yogakurse oder Ernährungsberatung von denjenigen auch gut angenommen, die bereits ein gutes Gesundheitsbewusstsein haben. In den wenigsten Fällen trägt das aber dazu bei, arbeitsbedingte Belastungen wie etwa ein schlecht gestaltetes Informationsmanagement im Betrieb oder die mangelnde Wertschätzung in der Abteilung zu verbessern. Deswegen ist es sinnvoll, sich auch mit den im Betrieb vorliegenden tätigkeitsbezogenen Anforderungen und gestaltbaren Arbeitsbedingungen zu beschäftigen.

Auf einer Skala von 1-10: Wie hoch schätzen Sie die Tabuisierung innerhalb der Betriebe im Durchschnitt ein? Von 0 - kein Problem, ein offener Umgang ist möglich - zu 10 - hier brauche ich das Thema erst gar nicht ansprechen.

AJ: Diese Frage lässt sich pauschal nicht so einfach beantworten, da die Bedeutung des Themas von verschiedenen Voraussetzungen im Betrieb abhängt.

Welche sind das? Und nach welchen Kriterien gehen Sie vor, um einzuschätzen, auf welchem Punkt der Skala sich die jeweiligen Betriebe befinden?

AJ: Aufschlussreich ist zum einen die betriebliche Arbeitsschutzorganisation, also die Aufbau- und Ablauforganisation in den Unternehmen. Ein/e Arbeitsgeber/in muss nach Arbeitsschutzgesetz für einen geeigneten Arbeits- und Gesundheitsschutz im Unternehmen sorgen. Das bedeutet, dass die relevanten Akteure bestellt, Strukturen geschaffen und Ressourcen bereitgestellt werden. Außerdem müssen sämtliche Gefährdungen, denen Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ausgesetzt sind, beurteilt und gegebenenfalls Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. Erfahrungsgemäß sind Betriebe, die hier Defizite haben, auch für das Thema der psychischen Gesundheit weniger aufgeschlossen. Wir haben aber auch festgestellt, dass in vielen Unternehmen den Verantwortlichen schlicht der Zugang fehlt, weil ihnen die entsprechenden Begrifflichkeiten fehlen, oder sie falsch verstehen. Solche Unsicherheiten hemmen die Auseinandersetzung mit dem Thema. Zum anderen spielt die Kultur in den Unternehmen eine entscheidende Rolle. Es gibt Betriebe, die haben eine gut aufgestellte Arbeitsschutzorganisation und eine ausgefeilte Gefährdungsbeurteilung. Dennoch passieren Unfälle, mitunter auch mit ansteigender Unfallschwere, die Arbeitsunfähigkeitszahlen sind hoch und Beschäftigte unzufrieden. In solchen Unternehmen fehlt eine sichtbar gelebte Sicherheits- und Gesundheitskultur. Das fängt schon auf dem Parkplatz und am Empfang an. Wenn sich der Geschäftsführer auf den Behindertenparkplatz stellt oder man am Empfang ohne Begrüßung abgefertigt wird, bekommt man eine Idee, welche Werte und Normen im Unternehmen eine Rolle spielen. Genau diese Themen müssen wir also angehen.

Wie schaffen es Betriebe, hier einen Schritt voranzukommen, und was sind dabei die größten Hürden?

AJ: In Abhängigkeit der betrieblichen Strukturen, Rahmenbedingungen, Werte und Normen im Unternehmen kommt der Führung hier ein besonderer Stellenwert zu. Haben Verantwortliche erst die Wichtigkeit und die Möglichkeiten einer geeigneten Organisation im Arbeits- und Gesundheitsschutz erkannt, werden Prozesse zur Förderung und zum Erhalt der Gesundheit, auch der psychischen, oft gewinnbringend implementiert. Auch das Engagement der Personalvertretungen ist hier maßgeblich und entscheidend. So erleben wir es immer wieder in Betrieben, dass es engagierte und geschulte Mitglieder der Betriebs- und Personalräte sind, die das Thema forcieren, indem Verantwortlichkeiten angesprochen, belastende Arbeitsbedingungen aufgedeckt und somit entsprechende Prozesse in Gang gesetzt werden. Auch Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die Betriebsärzteschaft können bewusstseinsbildende Antreiber und Antreiberinnen sein, vorausgesetzt, sie verfügen über das entsprechende Wissen und erkennen die Bedeutung des Themas. Und letztlich kann sich Wirksamkeit erst dann entwickeln, wenn die Akzeptanz dieser Agierenden im Unternehmen sichergestellt ist.

Wenn Sie alleine entscheiden könnten, etwas an den Rahmenbedingungen zu verändern, was wäre das?

AJ: Das kommt auf die Perspektive an. Für die Betriebe würde ich mir in Hinblick auf eine gesundheitsgerechte Unternehmenskultur wünschen, dass Führungskräfte mehr Zeit zum regelmäßigen Reflektieren und Führen bekommen und sich dann auch die Zeit dafür nehmen.

Mit Blick auf mögliche Kooperations- und Ansprechpartner, wie zum Beispiel Krankenkassen, Renten- und Unfallversicherungsträger, staatliche Aufsichtsbehörden, Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände wäre eine kooperative Zusammenarbeit wünschenswert, wie es die GDA (Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie) versucht. Um das Thema stringent in die Betriebe zu tragen, wäre es aus unserer Perspektive hilfreich, wenn in den Betrieben aber auch in den eigenen Reihen das Bewusstsein über die Bedeutsamkeit des Themas noch weiter steigen würde.

Was war die lustigste Anekdote, die Ihnen in Betrieben begegnet ist und mit psychischer Gesundheit zu tun hat?

AJ: Anekdoten habe ich viele in petto. Im Rahmen von Pilotprojekten zur Beurteilung arbeitsbedingter psychischer Belastung in Unternehmen führen wir oft beobachtende Tätigkeitsbegleitungen durch. Hier erleben wir nicht nur die tätigkeitsbedingten Anforderungen hautnah mit, sondern lernen auch die organisatorischen Bedingungen vor Ort kennen.

Spontan fällt mir ein Projekt im Bereich einer Kindertagesstätte ein, wo ich mich plötzlich im Kreise der 4 und 5-Jährigen sitzen sah und das Morgenlied singend mitklatschte. So wollte ich die Akzeptanz bei den Kindern fördern, damit die reale Tätigkeitsbegleitung bei den Erzieherinnen und Erziehern möglich war. Bei einer Untersuchung in einem Entsorgungsunternehmen saßen wir viele Stunden auf der Autobahn fest, da der LKW einen Defekt hatte. Die lange Wartezeit, die Beschäftigte im Rahmen dieser Tätigkeit übrigens regelmäßig haben, und der entstandene Sonnenbrand waren allerdings erst im Nachhinein lustig.