Pflegen und arbeiten – wie die Doppelbelastung leichter fällt
Ein Interview mit Helmut Wallrafen, Geschäftsführer der Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach GmbH
Mit sieben Pflegeheimen und 900 Beschäftigten gehört die SozialHolding der Stadt Mönchengladbach zu den größten Arbeitgebern der Stadt. Zu den Angeboten zählen voll und teilstationäre Pflege, Tages und Kurzzeitpflege sowie Beratungen für ältere Menschen. Spätestens am Ende der eigenen Berufslaufbahn werden die meisten Beschäftigten mit pflegebedüftigen Angehörigen konfrontiert. Die Doppelbelastung von Beruf und Pflege kann auf Dauer zum Kraftakt werden. Das 2013 gegründete „Netzwerk pflegend Beschäftigte”, mitgetragen durch die SozialHolding, will Angehörigen pflegebedürftiger Menschen in diesem Balanceakt zwischen Beruf und Familie beratend zur Seite stehen. Über 20.000 Menschen konnten bislang mit dem Angebot erreicht werden. Damit auch die eigene Belegschaft gesund bleibt, macht das Unternehmen seit einigen Jahren auch die psychische Gesundheit verstärkt zum Thema.
Arbeitsunterbrechungen und ein hohes Tempo gehören in der Pflege zum Berufsalltag. gleichzeitig werden Beschäftigte häufig mit dem Thema Tod konfrontiert, sind emotional gefordert. Wie können Sie als Arbeitgeber Unterstützung leisten?
HW: Ganz klar: Altenpflege ist ein psychisch wie physisch belastender Job. Dazu kommt, dass Beschäftigte auch am Wochenende arbeiten müssen, ja sogar in der Nacht und im Schichtdienst. Das ist belastend. Als Arbeitgeber bin ich also gut beraten, wenn ich dafür sorge, dass die Arbeit vernünftig organisiert wird. Ich nenne das immer WorkLifeManagement. Neben diesem formalen Ansatz geht es aber auch darum, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Wertschätzung entgegenzubringen, damit sie sich in dieser schwierigen Arbeit psychisch wie physisch wohlfühlen. Dazu muss ich als Arbeitgeber individuelle Angebote machen – zum Beispiel, indem ich genau an den richtigen Stellen für den Rücken und die Psyche sorge, ein vernünftiges Gehalt zahle, Gespräche fuühre, Fortbildungsangebote mache und mit den Beschäftigten gemeinsam versuche, Potenziale herauszufinden.
Trotzdem spielt das Thema Burnout in der Pflege eine große Rolle. Viele Studien zeigen, dass psychische und psychosomatische Erkrankungen beim Pflegepersonal dramatisch zunehmen.
HW: Auch bei uns gab es lange eine Lücke in der Gesundheitsförderung. Wir hatten zwar viele Präventionsangebote – was jedoch gefehlt hat, war ein Konzept fuür den Umgang mit psychisch Erkrankten. Ein Betroffener erzählte mir einmal, dass er ein halbes Jahr auf einen Therapieplatz warten musste. Leider ist das in Deutschland nicht unüblich und sowohl für die Betroffenen als auch für die Unternehmen schmerzlich. Wir haben gelernt, dass wir die psychischen Leiden ernst nehmen müssen. Seit 2012 arbeiten wir mit einer externen Beratungsstelle zusammen. Dort gibt es eine 24 Stunden besetzte Hotline, bei der ich bei Bedarf eine anonyme und vertrauliche psychologische Beratung erhalte. Auch die Wartezeit auf einen Behandlungstermin verkürzt sich durch die Zusammenarbeit mit dem Anbieter. Seit der Einführung haben sich unsere Fehltage wegen psychischer Erkrankungen innerhalb kurzer Zeit halbiert.
Wie haben Sie das Beratungsangebot intern kommuniziert?
HW: Wir haben Betriebsversammlungen angeboten, unsere Führungskräfte geschult, Broschüren verteilt und – ganz wichtig – immer dafür garantiert, die Anonymität der Betroffenen zu wahren. Ein entscheidender Vorteil war aus meiner Sicht, dass wir den Betriebsrat von Anfang an eng mit im Boot hatten. Statistisch gesehen haben das Beratungsangebot bislang etwa 10 Prozent der Belegschaft genutzt. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, mussten wir psychische Erkrankungen aber zunächst für alle Beteiligten zum Thema machen. Es ist doch so: Wir alle kommen häufig irgendwann an einen Punkt, an dem wir professionelle Hilfe nötig haben – sei es im Beruf oder im Privaten. Nehmen wir das Beispiel der Angehörigenpflege: Plötzlich bin ich mit ganz neuen Fragen konfrontiert, auf die es Antworten zu finden gilt. Die Doppelbelastung bei der Pflege von Angehörigen ist enorm.
Sie haben deshalb 2013 gemeinsam mit der Gesellschaft für Unternehmens- und Organisationsberatung Konkret Consult Ruhr das „Netzwerk pflegend Beschäftigte“ gegründet. Was waren die Beweggründe?
HW: Aus eigener Erfahrung wissen wir: Man kann der Pflegeproblematik fast nicht aus dem Weg gehen. Spätestens am Ende der eigenen Berufslaufbahn werden die meisten von uns mit pflegebedürftigen Angehörigen konfrontiert. Das gilt auch für unsere eigenen Beschäftigten. Für Betroffene, die sich informieren möchten, kursieren so viele Informationsangebote, dass die Suchenden am Ende oft von der Flut der Angebote überfordert sind. Wir haben uns gefragt, wie wir hier Entlastung schaffen können. Mit dem „Netzwerk pflegend Beschäftigte” bieten wir individuelle und unabhängige Beratung auf einer ganz persönlichen, menschlichen Ebene. Das Projekt war zunächst auf eine Laufzeit von drei Jahren ausgelegt. Am Ende hatten wir 30 Unternehmen aus Mönchengladbach und den Rheinischen Einzelhandels- und Dienstleistungsverband mit mehr als 200 Geschäften an Bord. Das heißt also, wir haben über 20.000 Menschen in unserer Region erreicht. Auch unsere eigenen Beschäftigten haben das Angebot genutzt.
Inzwischen ist das Netzwerk in den ganz normalen Betrieb der Sozial-Holding integriert. Welche Unterstützung bieten Sie den Betrieben ganz konkret?
HW: Wir setzen auf zwei Ebenen an: Für die Betriebe organisieren wir zum Beispiel Veranstaltungen, bei denen wir zunächst mit den Unternehmensverantwortlichen über Themen wie flexible Arbeitszeiten und betriebliche Gesundheitsförderung sprechen. Auf der Beschäftigtenebene bieten wir neben einem 24 Stunden besetzten ServiceTelefon sehr erfolgreich Kurse im Bereich der Angehörigenpflege an. Dabei spielt auch der Netzwerkeffekt eine Rolle. Bei den Veranstaltungen entstehen Gespräche, man tauscht sich über Erfahrungen in der Pflege mit Angehörigen aus. Auch das ist wichtig und gehört zum Erfolgsmodell. Darüber hinaus kommen viele der Menschen auf uns zu und fragen, welche Angebote wir als Pflegebetrieb anbieten und sie so möglicherweise entlasten könnten.
Auch wenn das Angebot nicht mehr ganz kostenlos ist, erfahren Sie einen großen Zustrom. Beobachten Sie, dass Betriebe die Pflege von Angehörigen nicht länger als Privatsache betrachten?
HW: Die Betriebe müssen ihre Beschäftigten ganz klar entlasten. Viele Unternehmen haben verstanden, dass Pflegebedürftigkeit im Rahmen des demografischen Wandels ein ernstes Thema ist. Die Beschäftigten empfinden es in der Regel als Zeichen der Wertschätzung, dass ihr Arbeitgeber sie in diesen Belangen unterstützen möchte. Damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt. Es geht darum, wach zu sein und zu hören, was die Mitarbeitenden brauchen. Eine Mitarbeiterin meinte kürzlich zu mir, das Beste sei, wenn sie einfach freihabe. Und ja, es stimmt: Freie Zeit ist auch eine Form der Gesundheitsförderung – gerade im Pflegebereich, wo ich nicht sechs Wochen am Stück arbeiten kann.