Über die Herausforderung sich selbst gesund zu führen

Interview mit Dr. Ralf Franke, Health Management and Safety, Siemens AG

Siemens zählt mit rund 116.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Deutschland sowie einigen tausend Auszubildenden zu einem der größten privaten Arbeitgeber. In über 160 Jahren Firmengeschichte hat sich Siemens von einem auf Nachrichtenvermittlung spezialisierten Unternehmen zu einem weltweit agierenden Konzern mit einer Vielzahl von Produkten, Lösungen und Dienstleistungen im elektrotechnischen und elektronischen Bereich sowie auf dem Gebiet der Medizintechnik und des Gesundheitswesens entwickelt.

Das Gesundheitsmanagement des global agierenden Konzerns hat nicht nur zum Ziel, gesundheitliche Risiken für seine Mitarbeiter zu minimieren, sondern unterstützt die Beschäftigten auch im Umgang mit den Herausforderungen der Arbeitswelt über gesetzliche Vorgaben hinaus. Die Aktivitäten gliedern sich in fünf Themengebiete, eines von ihnen ist die psychische Gesundheit. Einen Schwerpunkt legt Siemens dabei auf das Selbstmanagement und die psychische Gesundheit seiner Führungskräfte.

Sie haben 2009 in Ihrem Unternehmen das Programm „Leben in Balance“ eingeführt, um gezielt die psychische Gesundheit der Beschäftigten zu fördern. Was war der Hintergrund?

RF: Wie in der Gesellschaft insgesamt beobachten wir auch bei uns im Unternehmen eine Zunahme psychischer Belastungen. Zudem haben sich die Störungs- und Krankheitsbilder verändert. Früher standen vor allem Suchtproblematiken im Vordergrund. Heute sind es zunehmend mehr Überlastungserscheinungen, oft in Verbindung mit Depressionen und Angststörungen. Der Umgang hiermit erfordert ein besonderes Bewusstsein und Handlungskompetenz.

Was sind die Ziele und Maßnahmen des Programms?

RF: Ziel ist vor allem die Wissensvermittlung und damit die Stärkung einer gesundheitsorientierten Führungskultur. Gegenüber dem Thema psychische Gesundheit gibt es oft noch eine gewisse Scheu und Distanz aus einer Unsicherheit heraus. Mit dem Programm arbeiten wir aktiv an einer Enttabuisierung und einem konstruktiven Umgang. Es umfasst Informationsveranstaltungen, Seminare und Beratungsangebote. Wir haben uns aber auch über das Programm hinaus in den vergangenen Jahren verstärkt dem Thema psychosoziale Gesundheit gewidmet. Als Erweiterung unserer flächendeckenden Sozialberatung in Deutschland - mit einer über 100 jährigen Geschichte - wird es ab Herbst 2012 für die Beschäftigten eine psychosoziale Hotline geben, die rund um die Uhr besetzt ist. Zudem gibt es seit letztem Herbst ein eigenes Referat, „Psychosocial Health & Well-being“ mit konzernweiter Verantwortung.

Führungskräfte sind in der besonderen Position, dass sie Anforderungen von mehreren Seiten ausgesetzt sind und dabei gesund führen und gleichzeitig selbst gesund bleiben sollen.

RF: Das ist in der Tat eine Herausforderung und sicher auch ein Grund, weshalb Überlastungssyndrome verstärkt im Bereich des mittleren Managements auftreten: Da ist neben der Arbeit die Familie, der sie gerecht werden wollen. Bei einem globalen Unternehmen wie Siemens kommt dazu ab einer bestimmten Ebene noch häufiges Reisen mit all den damit verbundenen Nebenwirkungen. Und auch die Anforderung, fast immer erreichbar zu sein, muss man bewältigen können. Wenn der Kollege in China eine dringende Rückmeldung braucht, übersieht er auch mal, dass es hier Samstagmorgen ist. Diese Flexibilität wird erwartet, aber man muss sich der Belastung bewusst sein und im Sinne des Selbstmanagements konstruktiv damit umgehen.

Wie begegnet Siemens dieser Herausforderung? Wie unterstützen Sie ihre Führungskräfte dabei, sich selbst gesund zu führen?

RF: Das Programm „Leben in Balance“ beinhaltet Seminare, Workshops und Infoveranstaltungen speziell für unsere Führungskräfte. Dabei geht es sowohl um den Umgang mit gestressten oder psychisch überlasteten Mitarbeitern als auch um die Förderung und den Erhalt der eigenen psychischen Gesundheit. In dem Rahmen richten wir im Intranet auch ein Infoportal zum Thema ein. Zudem bieten wir für unsere Führungskräfte ein spezielles Gesundheits-Training an, das sich ganzheitlich mit körperlicher Fitness und dem Umgang mit Stress und Belastungen befasst. Außerdem bieten wir unter dem Titel „Wie führe ich mich selber?“ beispielsweise exklusive mehrtägige Coachings mit erfahrenen Spitzenleuten z.B. aus dem Sport an.

Sie tun hier also eine ganze Menge. Wie ist die Resonanz, welche Wirkung haben die Maßnahmen?

RF: Insgesamt haben inzwischen weit über 1.000 unserer Führungskräfte an den Angeboten im Rahmen von „Leben in Balance“ teilgenommen. Das Thema psychische Gesundheit ist nachgefragt. Und wir merken, dass seit der Einführung des Programms die Sensibilität zugenommen hat und offener damit umgegangen wird.