Das Bewusstsein der Unternehmen wird sich wandeln: Die Beschäftigten sind unsere wichtigste Ressource

Ein Interview mit Karsten von Rabenau, Leiter des Betrieblichen Gesundheitsmanagements der OTTO GmbH & Co. KG, Hamburg

1949 in Deutschland gegründet, ist die OTTO Group heute eine weltweit agierende Handels- und Dienstleistungs- gruppe mit rund 53.800 Beschäftigten. In Deutschland arbeiten rund 5.700 Menschen für die OTTO GmbH & Co. KG. Die Gruppe ist mit 123 Unternehmen in mehr als 20 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas und Asiens vertreten. Ihre Geschäftstätigkeit erstreckt sich auf die drei Segmente Multichannel-Einzelhandel (darunter der Kataloghandel), Finanzdienstleistungen und Service.

Es gab in den letzten Jahren gerade im Versandhandel immer wieder Veränderungen. Wie ist es Ihrem Unternehmen ergangen?

KvR: Restrukturierungsmaßnahmen gewinnen zunehmend an Bedeutung und gehören zum alltäglichen Geschäft, auch in unserem Unternehmen. Jede Organisation muss sich aufstellen und lernen, mit den ständigen Veränderungen umzugehen. Bei OTTO gab es in den letzten Jahren sehr starke Umstrukturierungen, zum Beispiel vom klassischen Versandhandel der Kataloge hin zum Online-Versandhandel. Während noch vor 15 Jahren der Online-Handel um die 10 Prozent des Umsatzes ausgemacht hat, sind es heute schon knapp 80 Prozent. Der sogenannte E-Commerce ermöglicht den Kundinnen und Kunden eine hohe Transparenz, zum Beispiel durch Preisvergleiche im Netz. Blickt man auf die Branche, hat sich die Konkurrenzsituation im E-Commerce in den letzten Jahren verändert und definitiv verschärft.

Welche Entwicklungen beim Thema psychische Gesundheit sind in Ihrem Unternehmen branchentypisch? Gibt es Unternehmensteile, die bei Ihnen besonders betroffen sind?

KvR: Hier sind die Bereiche mit ständigen und sehr schnellen Veränderungen der Technik zu nennen, bei denen die Beschäftigten ein hohes Maß an Flexibilität an den Tag legen müssen, z.B. in der IT oder im E-Commerce. Andere psychische Belastungen gibt es in den Abteilungen wie der Buchhaltung und der Datenerfassung. Das Berufsbild der Beschäftigten dort hat sich nicht zuletzt durch den beschleunigten technologischen Fortschritt stark gewandelt.

Restrukturierungsmaßnahmen werden von den Beschäftigten häufig als belastend empfunden. Wie sieht das bei OTTO aus?

KvR: Diese Beobachtung haben wir auch in unserem Unternehmen gemacht. Um die Stimmung in der Belegschaft aufzufangen und im Bilde zu bleiben, führen wir regelmäßig anonyme Mitarbeiterbefragungen durch. Dieses firmeninterne Instrument, der sogenannte Gesundheitsindex, ist wissenschaftlich gestützt und findet seit einigen Jahren immer wieder statt. Untersucht wird dabei die gesamte Belegschaft. Ziel ist es zum einen, zu hohe Belastungen der Beschäftigten sowohl am Arbeitsplatz als auch im privaten Umfeld zu erkennen und auszugleichen. Zum anderen sollen auch die persönlichen Ressourcen der Beschäftigten bei Bedarf durch unterstützende Angebote des Unternehmens gestärkt werden. Langfristig erhöhen solche Maßnahmen auch die Innovationsfähigkeit des Unternehmens. Abgefragt werden neun Themenfelder, darunter Work-Life-Balance, Arbeitszufriedenheit, arbeitsbedingter Stress und private Sorgen. Die Ergebnisse des Gesundheitsindex ermöglichen die Ableitung zielgruppenspezifischer Maßnahmen, zum Beispiel in Abteilungen, die besonders von Umstrukturierungen betroffen sind. Dort werden dann beispielsweise Qualifizierungsmaßnahmen, betriebliche Sozialberatung und eine psychologische Sprechstunde angeboten.

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die Motivation Ihrer Beschaäftigten auch vor dem Hintergrund der Veränderungsprozesse im Unternehmen zu erhalten?

KvR: Veränderungsprozesse sind in Unternehmen zunehmend an der Tagesordnung, so auch bei OTTO. Wichtig ist eine gute und kontinuierliche Begleitung der Beschäftigten bei den steigenden und veränderten Anforderungen. Wir bieten unseren Beschäftigten hierzu verschiedene Maßnahmen aus dem eigenen „aktiv.net“ an. Das „aktiv.net“ wurde vom internen Gesundheitsfachbereich gegründet. Hier betreuen und beraten der Betriebsärztliche Dienst, die Sozialberatung und die Arbeitssicherheitsingenieurinnen und -ingenieure als eigenständige Abteilungen die OTTO-Beschäftigten in gesundheitlichen Fragen. Ziel ist es, die Gesundheit der Beschäftigten ganzheitlich zu fördern und zu schützen. Das Kompetenzzentrum wird durch ein umfassendes Angebot an gesundheitsfördernden Bewegungs-, Entspannungs- und Ernährungsmaßnahmen und Betriebssport ergänzt.

Führungskräfte sind in der besonderen Position, dass sie Anforderungen von mehreren Seiten ausgesetzt sind und dabei gesund führen und gleichzeitig selbst gesund bleiben sollen. Wie begegnen Sie dieser Herausforderung?

KvR: Grundsätzlich stärken wir alle Beschäftigten beim Thema psychische Gesundheit, egal auf welcher Ebene der Unternehmenshierarchie sie sich befinden. Wir wissen um die besondere Position der Führungskräfte und um den Druck, dem sie ausgesetzt sind. Deshalb unterstützen wir sie bereits im Vorfeld durch professionelle Qualifizierung und bieten ihnen praktische Hilfe für die Gestaltung und Durchführung von Restrukturierungsprozessen. So stellen wir sicher, dass Führungskräfte ihre Beschäftigten qualifiziert bei diesem Prozess begleiten können. Hierzu werden beispielsweise Trainings, Coachings von Einzelpersonen oder individuelle (psychologische) Beratungen mit den Führungskräften durchgeführt.

Was schlussfolgern Sie aus Ihren Erfahrungen?

KvR: Eine kontinuierliche und zukunftsweisende Aufgabe für Unternehmen wird es sein, Beschäftigte zu motivieren, sich selbst aktiv mit den ständigen Veränderungen im Unternehmen auseinanderzusetzen. Es gilt, die Chancen durch Restrukturierungen und Veränderungen im Unternehmen zu erkennen und zu nutzen. Die Erweiterung von Arbeitsinhalten oder Handlungsspielräumen können auch als Bereicherung verstanden werden. In Zukunft müssen wir Beschäftigte so weit sensibilisieren, dass diese ihr Potenzial und ihre Fähigkeiten erkennen und nutzen. Wir müssen die Eigenverantwortung und das Selbstmanagement stärken. Das Bewusstsein der Unternehmen wird sich wandeln: Die Beschäftigten sind ihre wichtigste Ressource. Und die Förderung und der Erhalt ihrer Arbeitsfähigkeit wird immer ein wichtiges Ziel sein.